Braai bei Hans und Moritz

Schon am ersten Abend machten wir Bekanntschaft mit unseren Nachbarn, Christ und Amanda, sowie Ihrer bazaubernden zweijährigen Enkelin Amanee, deren Name aus denen der Großmütter, Amanda und Renee gebildet wurde.

Chris ist „Bauingenieur“ und redet gern und viel über Politik. Er sei dabei kein Rassist, mag aber halt „die Schwarzen“ nicht sonderlich. Viel Geld habe er verloren, seit diese die Macht haben. Insbesondere das Gesetz BEE (Black Economic Empowerment) macht ihm Sorgen. Es soll offenbar Schwarze in Spitzenpositionen der Wirtschaft führen. De facto bekommt man im eigenen Unternehmen einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, meist ein Verwandter, Bekannter oder guter Freund eines hochrangigen Partei- oder Regierungsmitglieds. In der Regel laufe das dann so, dass die Firma innerhalb eines halben Jahres pleite sei und der neue Chef mindestens einen 7er-BMW mit allen Schikanen fährt, da Nachhaltigkeit und unternehmerisches Denken und Handeln in der Priorität abgeschlagen hinter kurzfristigen Profitmöglichkeiten liege. Für seine Kinder sehe er jedenfalls in Südafrika trotz vielfältiger Möglichkeiten aufgrund der politischen Lage und vorherzusehenden näheren Entwicklung keine Zukunft. Eher würde das Land ähnlich Simbabwe, der früheren Kornkammer Afrikas, durch einen korrupten Despoten wie Mugabe, der übrigens aussehe wie „fuckin‘ Hitler“, vor die Hunde gehen. Er habe vor vielen Jahren an der nun brach vor uns liegenden Bahnstrecke mitgewirkt, blickte nun auf diesen Scherbenhaufen ungenutzter Infrastruktur und wetterte gegen Zuma und Mbeki, die anders als Mandela, das Land direkt ins Chaos führen würden, nicht ohne trotzig anzufügen, dass er keinesfalls irgendwo anders hingehen würde.

Er erzählte weiter, dass er mehrere Häuser besäße, leider aber einige in unbeobachteten Momenten von Schwarzen okkupiert seien und es „100.000 Bugs“ kosten würde, sie dort via Gerichtsbeschluss wieder rauszubekommen. „So fuck it“, vielleicht kommen ja bald bessere Zeiten. Sein eigenes Haus lasse er jedenfalls keine Woche unbewacht. Fährt er in den Urlaub, müssen Verwandte oder Freunde die Stellung halten, sonst sei auch das verloren.

Dabei habe er Schwarze immer fair behandelt und seine Firma anständig bezahlt. Sogar Hygiene-Seminare wurden veranstaltet um einigen Arbeitern die Notwendigkeit des Zähneputzens zu erläutern. Sein Job funktioniert so, dass er inklusive eines oder mehrerer ihm unterstellter Bautrupps von je ca. 100 Leuten gebucht werde. Im Monat legt er ca. 16.000 km mit dem Auto zurück, bei 350.000 km verkaufe er sie dann meistens.

Nach einem verregneten Tag und einem wenig spektakulären Ausflug nach Pilgrims Rest hatten wir eigentlich vor, mit Chris und Amanda zu grillen, was in Südafrika „Braai“ heißt und wirklich JEDEN Tag, zumindest wenn man unterwegs ist, zelebriert wird.

Die waren jedoch schon mit den Hostelbetreibern Moritz und Doreen (sie waren verwandt) verabredet und da wir die einzigen anderen Gäste waren, wurden auch wir zu Ihrem Haus über die Straße eingeladen. Wie spannend, schon nach wenigen Tagen hinter die Kulissen einer südafrikanischen Familie schauen zu dürfen. Moritz hatte sich zwischenzeitlich auch mit Felipe geeinigt, einen Porsche und einen Lamborghini seiner Matchboxsammlung, gegen einen Ferrari zu tauschen. Felipe war happy, hat er doch einem Autotausch schon den ganzen Tag entgegengefiebert.

Moritz und Doreen sind eine spannende Patchworkfamilie: Doreen ist die Seele des Hauses und hat Ihren Sohn Hans (ca. 15) aus erster Ehe mitgebracht. Sie wünschten sich ein gemeinsames Baby, aber es kam keines und so bewarben sie sich für eine Adoption. Alles ging schneller als gedacht vor zwei Wochen kamen dann gleich zwei Mädchen und zwei Jungs (12, 6 und 2 Jahre bzw. der Jüngste 1 Monat alt) zu ihnen, denen man nur wünschen kann, nie wieder einen Fuß in ihr altes zu Hause setzen zu müssen, angesichts der schlimmen Dinge, die ihnen laut offiziellem Bericht durch die eigenen Eltern widerfahren sind. Beide saßen oder sitzen im Gefängnis.

Beruflich ist Doreen selbstständig und betreut 65 Tankstellen im weiteren Umkreis, während Moritz ebenfalls Bauingenieur ist, zum Glück aber „nur“ ca. 5.000 km im Monat fahren muss. Sie haben vor, das Café / Ihr Hostel in eine auf Heiraten spezialisierte Location umzuwandeln und davon zu leben. Auch Sie sehen keine rosige Zukunft für ihre Kinder in Südafrika, wollen aber das Beste daraus machen.

Das Haus der beiden unterscheidet sich nicht wirklich von dem, was man sich auch bei uns vorstellen mag: Wohnzimmer mit großem Flatscreen, Aquarium, Couch und Tisch, insgesamt ein wenig chaotisch und mit weniger Perfektionismus geglättet, als es der gemeine Anspruch an „deutsches Handwerk“ in heimischen Breiten akzeptieren würde. Das Zuhause einer Familie, die sich vor ca. zwei Wochen hinsichtlich ihrer Mitglieder verdoppelt hat.

Wahrscheinlich wäre es für die meisten potentiellen deutschen Gastgeber undenkbar gewesen, Fremden einen unaufgeräumten, authentischen Blick in ihr Leben zu gewähren. Wir waren sehr dankbar dafür und genossen diese unbefangene Gastfreundschaft.

Blyde River Canyon

Heute ließen wir uns via Hostel-Shuttle zum Flughafen bringen, um dort unseren Mietwagen entgegenzunehmen. Es wurde ein VW Polo – Felipe hätte ein Audi besser gefallen – und wir starteten auf der linken Fahrbahnseite, in einem rechtslenkenden Auto, unsicher und sich verschaltend, als ständiges Verkehrshindernis ins ca. 360 km entfernte Hendriksdal in der Provinz Mpumalanga, das wir als Ausgangspunkt für die Blyde-River-Canyon-Region wählten.

Der schon im Reiseführer erwähnte Punkt der „weithin ignorierten Geschwindigkeitsbegrenzungen“ wurde deutlich unterstrichen. Am Abend sollte uns dann noch erläutert werden, dass z. B. Geschwindigkeitsbegrenzungen in Baustellen von Autofahrern gemeinhin nur dann akzeptiert werden, wenn dort auch arbeitende Leute zu sehen sind. Klingt so ganz logisch, für einen obrigkeitsbeflissenen und „stringenten“ Regeln gewohnten Alemannen jedoch echt abgefahren.

Gebucht hatten wir das Artist’s Cafe & Hostel, einen stillgelegten und umfunktionierten, recht einsamen, kleinen Bahnhof, der noch immer den kolonial angehauchten Charme längst vergangener Zeiten versprühte. Dabei gab es einen Trakt für das „Restaurant“ und ein kleines Gebäude mit den insgesamt vier Zimmern.

Wir wurden ins „Ticket-Office“ einquartiert. Die Kälte der Nacht halfen uns elektrische Bettwärmer zu überstehen.

Im Restaurant fanden sich neben zwei Tischen, einem alten Spiegel, diversen Trödel und einem „heimelichen“ Kamin auch ein kleiner Tisch unter dessen Glasplatte eine Sammlung Spielzeugautos Felipes ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zog. Wir ließen hingegen die ganz besondere Atmosphäre des in Kerzenschein getauchten Raumes, des Antiken aus früheren Tagen und der großen, einladenden Couch auf uns wirken. Das man nur einen Bruchteil der Speisekarte bestellen konnte, da viele Zutaten anderer Gerichte nicht vorrätig waren, störte dabei wenig. Das Essen war gut und wir plauschten mit Chris (USA) und Amanda (Brasil), einem Pärchen aus Pretoria, über das Land, Gott und die Welt.

Johannesburg

Afrika erwartete uns erwartungsgemäß sonnig und kühl. Ca. 16 Grad am Tag bei wechselndem Wetter, kühle Abende und bitterkalte Nächte korrigierten auch real, was sich aus TV-Dokumentationen der staubtrockenen und flirrenden Savanne auch nach dem Studium von Temperatur- und Niederschlagsdiagrammen noch tapfer in unseren gedanklichen Bildern als „gefühlt afrikanisch“ hielt.

Der kostenlose Air-Port-Pick-Up des gebuchten Hostels klappte reibungslos und wir so konnten wir ganz passiv die ersten Bilder auf uns wirken lassen. Und sie wirkten.

Vorbei an festungsgleichenden Häusern und Villen, ging es durch die größte Stadt Südafrikas. Das Sicherheitsbedürfnis der Habenden manifestiert sich in hohen Zäunen und Schildern, auf denen eine bewaffnete Beantwortung jeglicher Verletzungen von Grenzen angedroht wird. („Armed Response“). Die „Nichts- oder Wenighabenden“, „natürlich“ vorwiegend schwarz, bilden hingegen den nicht motorisierten, lebendigen Teil des Stadtbildes, zumindest außerhalb von Shopping Malls und Touristenattraktionen. Beide Seiten beäugen sich argwöhnisch und haben, wie wir im weiteren Verlauf unserer Reise immer wieder feststellen sollten, wenig Berührungspunkte.

Auch in unserem Hostel „Brown Sugar“ wurden wir durch hohe Zäune um den Komplex und einer gefängnisähnlichen Stahlgittertür vor unserer eigentlichen Zimmertür vor „allem da draußen“ geschützt.

Als aufgeklärten, weltoffenen Europäer bereitet einem dies Unbehagen und man kommt nicht umhin zuzugeben, das einem tatsächlich Angst (gemacht) wird. Um diese loszuwerden oder auf ein Maß zu reduzieren, das einem die kommenden Wochen genießbar werden lassen, entschloss ich mich dazu – nach Rückversicherung bei der Rezeption hinsichtlich der Sicherheitslage – zum Supermarkt zu laufen – ja nein, tagsüber sei dies kein Problem, ca. 1,5 km die Straße runter.

Nach 10 Minuten war ich zurück: Nein, ich bin nicht nicht durchschnittlich 18 km/h gejoggt; Ja, ich bin umgekehrt, obwohl nicht viele Leute auf der Straße waren, da dieses klamme Gefühl Oberhand gewann. Es fühlt sich an, als sei man ein Fremdkörper und vielleicht ist man das auch. Man fragt sich, ob es nicht auch daran liegen könnte, dass die „Anderen“ hier in der Mehrheit sind und versucht diesen Gedanken aufgrund der Ansprüche an das eigene Weltbild zu verwerfen, ist aber trotzdem ein bisschen enttäuscht von sich selbst.

Bis zum Abendessen waren dafür die Prepaid-SIM-Karte besorgt und die Anschlussnächte in der Gegend um Blyde River Canyon besorgt.

Am nächsten morgen näherten wir uns Land und Leuten sozusagen auf „neutralem Boden“ in einer Shopping Mall, zu der wir uns vom hosteleigenen Shuttleservice bringen ließen.

Gutaussehende, konsumfreudige Südafrikaner „aller Schattierungen“ schlenderten durch den Einkaufskomplex, der denen europäischer Metropolen in nichts nachstand. In den Läden dudelte aktuelle Musik je nach anvisierter Zielgruppe. Die Preise liegen gefühlt nahe, vielleicht etwas über dem deutschen Schnitt, bei Elektronik jedoch deutlich darüber (Kindle Paperwhite ca. 200 EUR).

Das EINZIGE, nachdem ich suchte – ein paar Flip-Flops – gab es natürlich … nicht und alles Interessante, wonach wir nicht suchten, konnten und wollten wir nicht kaufen, da wir es ein knappes Jahr nach Hause hätten tragen müssen.

Trotzdem: Ein schöner Tag mit Eis zum Abschluss, erfolgreicher Erstkontakt im zweiten Anlauf. Check.

Für den dritten Tag buchten wir kurzentschlossen noch am Morgen einen Ausflug in den Rhino- und Löwenpark (satte 121 EUR). Eine Stunde hin durch Jo’burg, wieder diese andere, vorbeirauschende, arme Welt.

Im Park selbst war es „ganz nett“, vermittelte aber eher das Feeling eines etwas groß geratenen, befahrbaren Zoos. Wir sahen Tiere, auch Löwen, die von uns im Wesentlichen keine Notiz nahmen. Das mehrstündig von unserem Fahrer angepriesene Highlight „You can play with Baby-Lion“ (Spielen mit einem kleinen Löwen) und ein kurzer Spaziergang durch einen noch zooähnlicheren Teil des Parks, inklusive eines sibirischen Tigers (!? warum bloß ?!) beendete unseren Aufenthalt.

Ich bin mir immer noch im Unklaren darüber, wie ich diesen Ausflug abschließend bewerten soll. Welche Botschaft soll vermittelt werden? Respekt und Bewusstsein für die Schönheit und die Vielfalt der Natur? Ist es ok, dass ein Raubtier zum Streicheln angeboten wird? Bekommt man das dann in der Kinderwelt wieder richtig eingeordnet?

Das Land und viele Menschen hier stehen vor größeren Herausforderungen, als die, vor die mich die Lösung dieser Fragen stellen. Für Felipe und uns war es unser erstes großes Abenteuer. Vielleicht ist es ganz gut, dass es vorerst ohne abschließenden moralischen oder ethischen Befund bleibt. Dieser kann schließlich nur auf dem bisherigen Weltbild erfolgen, und dieses soll in den kommenden Monaten wachsen.

In Jo’burg angekommen

Der erste Teil ist geschafft. Wir sind in Johannesburg angekommen, der Transfer in Addis Abeba erschien zwar etwas abenteuerlich und erfolgte mit handgeschriebener Bordkarte (Systemausfall), aber letztlich sind wir und unser Gepäck vollständig gelandet. Der Abholservice unseres Hostels funktionierte ebenfalls problemlos – kurzum: Wir sind da.

Falls übrigens irgendwann mal Fragen zur Bedienung unterschiedlicher Flug-Entertainment-Systeme aufkommen sollten, kann Felipe jederzeit fachmännische Auskunft geben.

Wir wissen noch nicht was wir morgen genau machen, aber das war ja der Plan. 😉

Das Abenteuer beginnt. Hello World ;)

Der Tisch ist gedeckt, die Welt wartet entdeckt zu werden. Monatelange Vorbereitung liegen hinter uns: Die KiTa gekündigt, Steuererklärung abgegeben, Auto untergestellt, Job gekündigt, Impfungen absolviert, beim Arbeitsamt an- und wieder abgemeldet, die Krankenkasse informiert, die Wohnung zwischenvermietet, Sachen ausgelagert, Finanzplan (50 EUR / Tag) durchgerechnet, Langzeit-Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, erster Flug und 3 Nächte gebucht, Abschied gefeiert.

Ist nur noch die Malaria-Prophylaxe zu besorgen, das Telefon umzumelden und die letzten T-Shirts auszusortieren. Vielleicht wird auch noch der Mietwagen für Südafrika gebucht.

Gleich geht’s los, heute am 05.08.2013:

  • 15:51 Uhr ab Leipzig nach Berlin Tegel, Ankunft 17:38 Uhr
  • 19;45 Uhr ab Tegel nach Frankfurt, Ankunft 20:55 Uhr
  • 22:06 Uhr ab Frankfurt nach ADDIS ABABA, Ankunft 08:15 Uhr
  • 08:50 Uhr ab  ADDIS ABABA nach Johannesburg, Ankunft 13:20 Uhr

Danach geht’s ins Hostel (http://www.brownsugarbackpackers.com/), ausruhen, schlafen, ankommen.

Drückt uns die Daumen und freut Euch mit uns, wir werden dafür hin und wieder einige Eindrücke mit Euch teilen. 🙂