Kolonialer Charme, rauchende Schlote und Platz Nr. 44

Die Tage verfliegen während wir am Playa de Maderas surfen, einen Ausflug auf die Vulkaninsel Ometepe  unternehmen oder einfach faulenzten. Der Spuk von Semana Santa war noch schneller vorbei, als er begonnen hatte und San Juan del Sur verwandelte sich innerhalb weniger Stunden wieder in das kleine liebenswerte Städtchen, in dem wir vor zwei Wochen landeten. Die Stimmung nach der großen Sause erinnert ein wenig an Neujahrstage: Alles scheint durchzuatmen. Erschöpfte Stille liegt über den Straßen, viele Geschäfte bleiben geschlossen, die Gassen wirken zeitweise menschenleer, als wäre es nie anders gewesen. Sogar die Familien, die einschließlich ihres jüngsten, geschätzt fünfjährigen Kindes während der letzten Tagen auf dem Gehsteig gegenüber schliefen um tagsüber Sonnenbrillen, Wasserspielzeug und kleine Blumen aus gefalteten Palmenblättern zu verkaufen, sind weitergezogen.

Noch gestern konnten wir aus Not geborene ‚Kaltschnäutzigkeit‘ beobachten, als die Kleine durch ein Restaurant marschierte und zwei Gäste um einige Nachos bat, während sie gespielt ungeschickt ihre Finger schon im Teller hatte. Die zwei ließen sich selbstverständlich eine neue Portion bringen und es war rührend zu sehen, dass sie anstatt eines großen Aufstands zu machen, nicht nur die Reste einpacken ließen, sondern darüber hinaus die Kleine und ihren wenige Meter entfernt stehenden, kaum älteren Bruder zum Essen an ihren Tisch einluden. Es dauerte eine Weile, bis aus sichtbarem Hungerstillen beim Dessert ein wenig Genuss wurde.

Einen Tag später wird es auch für uns Zeit, weiterzuziehen und so brechen wir mit dem „Chicken Bus“ nach Granada auf. Das ist zwar nicht unbedingt bequem, aber unschlagbar günstig und es gilt ja auch nur ca. 100 km zu bezwingen. Direkt an der Hauptstraße dann Umstieg in den Überlandbus, der uns bis zur Stadtgrenze bringt und nach einer weiteren Etappe im kleinen Regiobus erreichen wir den Parque Central, das Herz der geschichtsträchtigen Kolonialstadt Mittelamerikas. Die Kathedrale grüßt uns und im Backyard Hostel kommen wir günstig, aber für Anke etwas zu simpel, unter, so dass wir am nächsten Tag ins Hotel Oasis wechseln und fast das Doppelte für unser Zimmer über den Tresen schieben müssen. Angesichts der hohen Temperaturen sind wir glücklich, dass in beiden ein erfrischender Pool lockt.

Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land Lateinamerikas und das ist auch deutlich zu sehen. Zwar fahren über die immerhin asphaltierten Straßen auch reichlich Autos, aber noch immer zählen auch Pferde-, Ochsen- oder Handkarren zum alltäglichen Straßenbild. Übergroße Freundlichkeit kann den Einwohnern auch hier nicht nachgesagt werden. Antworten fallen selbst in Hotels oft knapp aus und ein beiläufiges Lächeln oder dessen Erwiderung fällt vielen schwer. Vielleicht wird dies auf der Straße allzu oft als Einladung zu unerfreulicher Ansprache fehlinterpretiert, denn diese kommen oft recht schnell zur „Sache“, oder es gibt einfach zu viele Sorgen und zu wenig Gründe, etwas Frohsinn in die Umgebung abzustrahlen. Also wird fröhlich ignoriert und mienen- sowie teilnahmslos auf Handys gestarrt.

Die Stadt ist mit ihren bunten Gassen und Kunstgalerien ganz hübsch, aber nicht wirklich umwerfend. Auch das Essen ist eher etwas „grobschlächtig“ und besteht in unterschiedlicher Zubereitung und Variation aus den Grundsubstanzen Maismehl, Hühnchen, Bohnen und Reis.

Lohnenswert ist unser Ausflug auf den Vulkan Masaya. Zwar gehört er höhenmäßig im „Feuerring von Nicaragua“ zu den kleineren Vulkanen, dafür ist er einer der momentan aktivsten. An seinem Kraterrand zu stehen und dem dichten, aufsteigenden und nach Schwefel riechenden Rauch hinterherzuschauen, war für alle sehr eindrucksvoll und lässt die Kräfte erahnen, die dort am und im Boden schlummern und zum letzten Mal vor 240 Jahren in einem Ausbruch zu Tage traten.

Noch in San Juan del Sur werden wir auch erstmalig Zeuge eines deutlich zu spürenden, aber als harmlos empfundenen Erdbebens, das jedoch in der Nähe seines Epizentrums ca. 50 km von der Hauptstadt Managua einige Schäden verursacht. Die Behörden sind seitdem etwas beunruhigt, da einige umliegenden Vulkane, besonders der Momotombo seitdem eine deutlich erhöhte Aktivität aufweisen.

Nach nunmehr drei Tagen und bereits weit über der Halbzeit unseres Aufenthalts in Zentralamerika liegend, entschließen wir uns zur Rückkehr nach San Jose, Costa Rica, um uns von dort aus der karibischen Seite und damit auch langsam Richtung Panama zuzuwenden.

Nachdem Felipe in der Nacht mit einem nervösen Magen zu kämpfen hat, grenzt es an ein Wunder, dass die achtstündige Fahrt direkt neben der stinkenden Boardtoilette ohne unappetitliche Zwischenfälle verläuft. Wir sind damit wieder am Ausgangspunkt und gespannt, ob die Karibik aussieht, wie sie sich anhört. 🙂

Pauken beim ältesten Spanischlehrer von San Juan del Sur

Erste englische Bruchlandungen und fragende Blicke bei Benutzung meines frei erfundenenen „Italospanischs“ bekräftigten meinen schon lange feststehenden Entschluss, etwas Spanisch zu lernen. Sprachschulen gibt es reichlich und im Schnitt kosten 5 Einheiten à 3 Stunden ca. 125 US$. Auf Empfehlung unseres Hotels fand ich jedoch Vicente (5 Tage à 3h, 65 US$), bei dem ich nun die Schulbank drücke, während sich Anke und Felipe der Schulvorbereitung widmen. Bei der ersten Begegnung war ich etwas skeptisch, zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Vicente Lira ist seit langem Witwer, 66 Jahre alt und ein geduldiger Lehrer. Er lebt in dem Haus, in dem er geboren wurde, trägt entweder eine verspiegelte Sonnenbrille mit weißem Gestell oder eine rahmenlose Lesebrille, die an einer weißen Perlenkette um seinem Hals baumelt und bei Kontrolle der Hausaufgaben ganz vorn auf der Nasenspitze sitzt, während er kritisch das Kinn nach vorn schiebt. Er schaut dann immer, als sei alles falsch bevor er entweder beginnt, den Korrekturstift zu suchen, oder unvermittelt „muy bien“ (sehr gut) sagt. Die verbliebenen Haare trägt er frisurlos, trinkt gern Bier auf nicaraguanische Art mit einer Brise Salz (furchtbar!) und  ist auf diese besondere Art schrullig, die ich unerklärlicher Weise mag, während sie andere in zehn Sekunden in den Wahnsinn treiben würde. Fünf Tage à 3 Stunden pauke ich nun mit ihm die wichtigsten Verben und deren Konjugation, grüble abends ūber original-spanische Konstrukte und teste bei allen sich bietenden Gelegenheiten die erlernten Häppchen.

Mit meinen sonderbaren Lehrer feiere ich jeden Tag kleine Erfolge. Wie alle Nicas begegnet mir auch Vicente freundlich, aber etwas reserviert und mit einem gewissen Stolz. Ein Lächeln gibt es nur spärlich umsonst und käuflich ist es erst recht nicht. Es gefällt ihm (und mir) aber trotzdem, wenn ich im Restaurant seinen Cafe mitbezahle(n darf).

Vor einigen Tagen waren wir drei in seinem Haus zum Abendessen eingeladen. Er wohnt beengt im hinteren Bereich seines Hauses, dass er zum Großteil für 200 US$ pro Monat an einen Gitarren- und Okuleleladen vermietet hat. Der Gang zu seinem Zimmerchen ist so schmal, dass er ihn im Seitwärtsgang passieren muss und alles wirkt wie eine provisorische Junggesellenbude: pragmatisch, lieblos und arm und so schätze ich seine Einladung noch mehr, als ohnehin schon. Wir nehmen Platz im kleinen Zimmer, nachdem ich den auf seinen Vorschlag hin mitgebrachten Wein in der Kneipe nebenan habe öffnen lassen.

Nachdem jeder auf einem roten Plastikstuhl sitzt, ist der Raum vollständig ausgefüllt und als die Teller überreicht, werden, wird klar, dass wir ohne Tisch auskommen müssen. Felipe schaut ungläubig und misstrauisch in die Runde, während uns Vicente eröffnet, dass er später essen wolle. Das geht mir dann doch zu weit in Sachen Kautzigkeit. Er lässt sich nur duch meine  freundliche, aber bestimmte Intervention umstimmen und nimmt sich einen Teller vom ausgesprochen wohlschmeckenden Reis mit Hühnchen.

„Höhepunkt“ des Abends wird sein, als er Anke fragt, welchen Beruf sie vor ‚unserer (von ihm fälschlich angenommenen) Heirat‘ ausgeübt habe. Ich amüsiere mich köstlich und sogar Anke muss lächeln. Jeder andere hätte dafür wohl eine ansatzlose Links-Rechts-Kombination kassiert.

Als wir gehen, bedankt er sich (für seine Verhältnisse) ausführlich für unser Kommen und wir schlendern fröhlich zum phänomenalen Eisstand unseres Vertrauens. Ja, ich bin sehr glücklich über meinen sonderbaren Lehrer.

Nicaragua geflällt uns sehr. Nicaragua nos gusta mucho.

Kontakt: Vicente Lira, ask @ „Cyber Leos“, Tel 087-21625

Verano 2014 – Die Hütte brennt am Nica-Ballermann

Im Vergleich zu Costa Rica ist Nicaragua noch bunter: die Häuser sind farbenfroh, die Busse alt und reich verziert und an Autos und Zweirädern werden gern “Zierleuchten” installiert: von Knight-Rider-Lichtorgeln am Kühlergrill, über Lauflicht-Nummernschild-Umrandungen, farbig in Szene gesetzte Motorblöcke, Unterboden- und Felgenbeleuchtungen bis hin zu farbig blinkenden Waschwasserdüsen lassen die Lichterfans Ihrer Passion freien Lauf. Und Felipe zeigt sich als echter Autokenner ganz begeistert.

Die Küche überzeugt neben dem reichhaltigen Angebot an frischen Früchten und daraus zubereiteten „batidas“ (Shakes) mit leckeren Quesadillas, Burritos und Fajitas. Über die Erfindung des Nationalgerichts „Gallo Pinto“ (Reis mit schwarzen Bohnen) streitet man sich innig mit dem Nachbarn Costa Rica und es ist normalerweise auch Bestandteil eines traditionellen Frühstücks. Da keiner von uns ein großer Fan von Bohnen ist, kann uns der kulinarische Stolz der Nation insbesondere für einen gelungenen Start in den Tag wenig überzeugen und wird mit freundlichen, entschuldigenden Blicken vom morgendlichen Teller abbestellt.

Unsere Befürchtungen hinsichtlich der österlichen Touristeninvasion waren nicht übertrieben: In den letzten Tagen verwandelten sich Hauptstraße und Strand des sonst hübschen Städtchens in eine furchtbar laute Partymeile, von der ab dem frühen Morgen bis spät in die Nacht hämmernde Beats aus bis zum  Anschlag (und darüber hinaus) aufgedrehten und in gegenseitiger Konkurrenz stehenden Boxen durch unser Zimmer donnern. Wäre wenigstens eine Rockbühne dabei, aber stattdessen werden überall die gleichen ohrenbetäubenden Dance-Remixes aus der Konserve gespielt, während hochhackige Mädels in knappen Einheitsklamotten in die Luft lächeln. Geworben wird für 3 Dinge: für Mobilfunk, Bier und „Flor de caña“, dem hiesigen Rum, der tatsächlich ein echter Kracher ist. Dazwischen versuchen hunderte fliegende Händler mit Sonnenbrillen, Schmuck, geflochtenen Palmenblättern, Getränken sowie Straßengerichten den einen oder anderen Dollar zu verdienen. Reich und arm liegen, wie so oft, sehr nahe beeinander.

Das San Juan del Sur, als eines der bekanntesten touristischen Ziele des Landes, nicht gerade für eine authentische Annäherung geeignet sein könnte, ahnten wir schon, aber hier fühlt es sich gerade schwer nach Ballermann an (wobei wir dort noch nie waren) und geht besonders mir schon jetzt gründlich auf den Zeiger.

Ansonsten stöhnen wir unter der Hitze. Zum Glück verfügt unser Zimmer im Hotel Estrella über Charme und einen kleinen Balkon mit Meerblick, über den nachts ein angenehm kühles Lüftchen hereinstreicht, allerdings eben dadurch auch ungünstig nahe am Partystreifen gelegen ist. Ich nutze die Zeit und lerne ein bisschen Spanisch, aber dazu mehr in einigen Tagen.

Wir wünschen ein frohes Osterfest!

PS: Gestern live das tolle Sachsenderby vorm Radio verfolgt… was für ein gelungener Start in den Tag! Ich freue mich schon jetzt auf die kommende Zweitligasaison, wo doch zwischenzeitlich Anlass zur Sorge bestand. Das kleine Wunder vom Erzgebirge geht weiter.

Ankunft in San Juan del Sur, Nicaragua

Über Transfer und Grenzübertritt hatte ich vorher Widersprüchliches gelesen, weshalb ich ausnahmsweise mehr ins Detail gehe:

Mit dem öffentlichen Bus von Tamarindo und einmaligem Umsteigen in Liberia (der Bus fuhr die richtige Haltestelle direkt an) erreichten wir flott und einfach die Grenze zu Nicaragua in Peñas Blanca (ca. 3 Stunden, 7.500 Colones = 10 Euro). Der Grenzübertritt war hingegen vergleichsweise umständlich und teuer: Erst 200m zurück zur versteckt gelegenen „Ausreisegebühr-Sammelagentur“ (10 US$ pro Person, da der Automat nicht funktionierte), dann Ausreisekarte ausfüllen und damit zur Ausreisestelle Costa Rica zum Stempeln. Nun ca. 100m durch Niemandsland laufen, wo aufdringliche Taxifahrer bzw. deren Späher mit oder ohne (wahrscheinlich) selbstgebastelten „Ausweis“ lautstark um das Vetrauen und die Gunst der ankommenden Touristen rangeln, wobei Preise, anders als z. B. am Bahnhof von Bangkok, nicht frei erfundene Mondzahlen sind. Auch wir entschieden uns für einen. Schließlich taucht rechterhand die Einreisestelle Nicaraguas auf. Dort ist ein grauer Coupon zu erwerben, nach dem nie wieder gefragt wurde (1$ pro Pass) und die Einreisekarte für Nicaragua auszufüllen. Jetzt zum „Stempelheini“, der pro Pass 12 US$ zieht und nun schnell ins bereitstehende Taxi lotsen lassen, denn plötzlich tauchten unangenehm viele Leute auf, die für irgendwelche Dinge warben. Ca. 45 Mintuen später landeten wir wohlbehalten in San Juan del Sur (30 US$), wo wir ein etwas stickiges, aber günstiges Zimmer bezogen, da wir in unserer Wunschherberge kein Glück hatten.

Vielsagende Begebenheit: Trotz wartender Schlange vor seinem Schalter stellte einer der Beamten wegen einer laufenden Fußballübertragung den Dienst ein. Mit dem Wort „Moment“ drehte er sich zum TV in seinem Rücken um und aus dem Moment wurde eine laaange Weile bis sich die ohnmächtig murrende Menge auf die anderen Schlangen verteilte.

Wir werden hier wohl fast 2 Wochen verbringen, so lange, wie bisher nirgends, aber die Osterwoche stellte sich selbst bei Vor-Ort-Recherche als echte Herausforderung dar und es scheint ratsam, auf ambitionierte Reisetätigkeiten zu verzichten, bis der Spuk vorbei ist. Unser 25-Dollar-Zimmerchen ohne Klimaanlage und Frühstück sollte ab Samstag 90 US$ kosten, aber gleich nebenan wurden wir im Hotel Estrella für die Hälfte fündig. Das war allerdings auch weit und breit das einzig akzeptable Angebot. Dafūr gibt es einen kleinen Balkon, ein Bett für jeden und ein Frühstück. Das Städtchen macht jedenfalls einen netten Eindruck, so dass wir uns die Zeit sicher gut vertreiben werden.

Tamarindo – Surfen am Pazifik

Mit dem FT’s Guesthouse („Frutas Tropicales“, 40 US$ pro Nacht) haben wir einen echten Glücksgriff gemacht: Bei 40 Grad im Schatten ist eine Klimaanlage eine Super-Erfindung, die Quesadillas con Pollo (Käse in Teigtaschen mit Hühnchen) und das Steak Tropical waren Feste für Gaumen und Seele und Felipe fand in Warner, dem fünfjährigen Sohn der Betreiber Ally und Jay, einen tollen Spielkameraden.

Direkt über die Straße war der Strand, an dem neben stetigen, anfängerfreundlich heranrollenden Wellen auch die Ikone und Hauptdarsteller des Surf-Ur-Kultstreifens „Endless Summer“, Robert Augustus seinen wahrgewordenen Surfhostel-Traum Realität hat werden lassen. Wir Männer haben erfolgreich einige Wellen erjagt und hatten stundenlang Spaß im erfrischend kühlen Nass, das die Hitze erträglich werden ließ.

Ansonsten sind angesichts der hohen Preise Aktivitäten nicht drin. So sollte beispielsweise ein Ausflug zu den Neststränden der Leatherback-Schildkröten inklusive Transer saftige 107 US$ kosten. Die Frage nach der „Flugdauer“ konnte ich mir nur mit großer Mühe verkneifen. 😉 Ssssorrry, dann verschieben wir das auf Nicaragua, wo mit günstigeren Preisen zu rechnen ist.

Schon morgen geht’s los um etwas Vorsprung vor dem Massenansturm zu haben, den beide Länder für die Osterwoche erwarten, denn da soll es hinsichtlich
Unterkunft schwer … und natürlich teuer werden. Die im Internet recherchierten Preise lassen nichts Gutes ahnen und so hoffen wir auf unser Glück vor Ort, in unserem nächsten Ziel, San Juan del Sur.

Costa Ricas wenig reizvolle Hauptstadt

Der Flug von San Francisco mit Zwischenlandung in Fort Lauderdale, Florida, in die Hauptstadt San Jose war zwar lang, verlief aber angenehm und reibungslos, wenn auch wegen fehlender Crew mit etwas Verspätung. Die uns vorher unbekannte Airline jeblue bot erstaunlich viel Beinfreiheit, verglichen mit den Billigcarriern in Asien oder Australien, der Flug lag allerdings auch – wie in Mittel- und Südamerika üblich – eine Preiskategorie höher.

Ankunft bei molligen, aber trockenen 27 Grad. Herrlich. Wie rasant Regenwetter und 9 Grad (San Francisco) an Charme verlieren, selbst wenn man lange davon verschont war. Bereits jetzt stellt sich die bange Frage, wie wir einen heimischen November überstehen wollen.

Die Schilderungen des Reiseführers hinsichtlich eines latenten Mangels an Charme bewahrheiteten sich und so sind nicht gerade viele Bilder auf unserem Streifzug durch das Zentrum der Metropole entstanden. Die Stadt hässlich zu nennen wäre nicht wirklich fair: die Musik, einige kleine Bars und rührige Ticas und Ticos, wie die Einheimischen sich hier selbst nennen, strahlen schon eine gewisse Lebendigkeit aus. Vielmehr fehlt ihr wohl etwas Besonderes. Es gibt keine wirklich herausragende Kirche, kein einmaliges Bauwerk und die Museen bekommen durchweg schlechte Kritiken, so dass wir diese gleich ignoriert haben. Stattdessen sind wir Männer zum Friseur gegangen, wo uns passend zur Stadt, recht lieblose Haarschnitte verpasst wurden. Gern würde auch ich sagen: „Wächst ja wieder“, aber es gibt da erste „Problemzonen“, wo etwas Daumendrücken nicht schaden kann.

Beliebigkeit trifft es als Beschreibung vielleicht am besten. Wirklich auffällig sind, es sei verziehen und wurde geschlechter- und generationenübergreifend bemerkt, die mit besonders üppiger „Weiblichkeit“ ausgestatteten Schaufensterpuppen, die wir so noch nirgends gesehen haben. Auch in natura zeigt man und Frau sich recht gern etwas großzügiger und selbstbewusst, egal ob gertenschlank oder Kompaktvariante mit diversen Extras.

Unsere Bleibe, das Costa Rica Guesthouse, verfügte über große Zimmer, deren Fenster allerdings direkt in Richtung eines recht früh beginnenden, im 10-Minutentakt verkehrenden und dabei dauerhaft laut hupenden Zug zeigten. Idyllisch ist anders, aber wir waren müde.

Nach zwei Nächten war es dann auch genug, und so brachte uns eine laaange Busfahrt ins Touristenmekka Tamarindo an der Pazifikküste, wo wir uns am Meer bei Reggae, Surfkultur und eiskalten Fruchtshakes nach dem dichten Zeitplan unseres USA-Roadtrips wieder etwas treiben lassen und Ruhe finden wollen.

Es ist jetzt 23:30 Uhr und im Club nebenan steppt zu Ich-bin-gut-drauf-Latino-Mucke der Bär. So viel dazu also.

Zwischen Wüsten- und Wintercamping – 3.100 km durch Kalifornien

Die Fahrt vom Death Valley in den Sequoia-Nationalpark ist kompliziert: Zuerst muss eine Gebirgskette umfahren werden, die aus der kartographischen Nähe eine epische Anfahrt von sechs Stunden werden lässt um anschließend in den schneebedeckten Höhenlagen mangels geeigneter Fahrzeugausrüstung, insbesondere Schneeketten, aufgeben zu müssen. Der Kontrast zur Hitze von „gestern“ überraschte uns letztlich doch in seiner Wucht. Obwohl wir wussten, dass damit Ende März zu rechnen sei, ließen uns die erlebten Temperaturen und einige Einschätzungen von Rangern auf mildes Wetter hoffen. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchten wir noch unser Glück im Kings Canyon, aber auch dort wurden wir bei Schneefall zur Umkehr gezwungen, was zwar weniger überraschend, doch aber etwas enttäuschend war.

So blieb uns nur der Rückzug, denn wir hatten keine Zeit, auf besseres Wetter zu hoffen und schon gar nicht wollten wir eingeschneit in den Bergen festsitzen. Also runter und Schlagdistanz zu unserem nächsten Ziel hergestellt, bevor wir müde unseren schicken Camper für die Nacht am Lake Millerton herrichteten.

Der Yosemite Nationalpark empfing uns deutlich freundlicher: frühlingshafte Sonne setzte das ohnehin charmante Städtchen Oakhurst ins richtige Licht und unser phänomenales Frühstück bei „Pete’s“, einem traditionellen Diner, stimmte uns versöhnlich und hoffnungsvoll, auch wenn uns wieder schneebedeckte Gipfel aus der Ferne grüßten. Wir sollten nicht enttäuscht werden: Yosemite inszenierte seine wuchtig umwerfende Schönheit, wie sie nur dort zu finden ist, wo das Zeitalter der Industrialisierung mangels Unkenntnis oder Desinteresse vorbeigeschrammt oder weitsichtige Zeitgenossen wie John Muir rechtzeitig den besonderen Schutz von Teilen der unendlichen Weite des nordamerikanischen Kontinents erstreiten konnten.

Unsere erste Station waren die Mammuntbäume, die sich in einer etwas höheren Region des Parks befinden (die ganz hohen Lagen sind im Winter gar nicht zu erreichen). Auch hier trafen wir auf Schnee, über den sich besonders Felipe so ausgiebig freute, dass er kaum zu bändigen war.

Wir waren im Bärenland und obwohl uns bis zum Schluss eine Begegnung verwehrt blieb, warnten Schilder doch eindringlich vor ihrer Anwesenheit. Den Empfehlungen folgend wurden alle Lebensmittel und Waschtaschen in dem dafür vorgesehenen, einbruchsicheren Container deponiert, bevor wir den Abend bei Nudeln mit Tomatensauce und Lagerfeuer ausklingen ließen. Dank unseres Nachbarn Jadie lernte ich außerdem, dass über dem Feuer „gesoftete“ Marshmellows eingeklemmt zwischen zwei Keksscheiben und einer hauzarten Schokoplatte besonders fies und unwiderstehlich sind, wenn man es skrupellos quietschesüß mag. Es sei die kalifornische Art, die unschuldig aussehenden weißen Sündenstückchen noch schneller in Hüftgold zu verwandeln.

Nachts wurde es eisig und unsere dicken Decken konnten die fehlende Standheizung nur leidlich ersetzen. So waren wir dankbar für die ersten wärmenden Sonnenstrahlen und genossen einen heißen Instantkaffee. Das traumhafte Wetter nutzten wir für einen vierstündigen Spaziergang durchs Tonya Valley, vorbei am Mirror Lake. Zwar trafen wir auch hier keinen Bär, dafür modelte stellvertretend ein Luchs ohne jede Furcht nur wenige Meter entfernt und scheinbar ungerührt für die Objektive der Umstehenden. Ein bisschen wie Zoo, nur ohne Gitter und deshalb wahnsinnig aufregend. Ein Moment, in dem zumindest ich mich (überraschender Weise sogar in Übereinstimmung mit Felipe) eindeutig glücklicher fühlte, als in den Warteschlangen Disneylands. Zugegebenermaßen ist der Vergleich etwas schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, aber sei es drum. Gegen 17 Uhr waren wir zurück, nutzten nach den Katzenwäschen der vergangenen Tage noch schnell die kostenlosen Duschen und schon galt es auf dem Highway wieder Meilen zu schrubben, denn für den Folgetag standen Outlet-Shopping und die Küste des legendären Highway 1 unserem Programm.

Am Walmart in Gilroy fanden wir in bewährter Weise eine Bleibe für die Nacht. Leider kehrte am Shoppingtag das schlechte Wetter zurück, so dass der Pazifik nebelverhangen und deprimierend trist erschien, sofer er überhaupt zu erkennen war. Auch die letzten 150 km bis San Francisco brachte uns unser treuer Camper, bevor wir wehmütig und widerwillig Abschied nehmen mussten. Da die Sonne zurück und die Aussicht für die nächsten Tage eher trübe war, warfen wir uns gleich ins Getümmel und flanierten in Fisherman’s Wharf vorbei am im Meer liegenden Alcatraz und der stadtansässigen Seelöwenkolonie bis der Blick auf die berühmte Golden Gate Bridge freigegeben wurde. Heute regnet es hingegen wieder und es ist kalt, so dass wir ohne schlechtes Gewissen das Frühstück im Dottey’s in der sechsten Straße zu einem dreistündigen Brunch ausufern lassen konnten.

Hinter uns liegen dreizehn Tage und 3.100 abwechslungsreiche Kilometer quer durch gerade mal einen der 50 Bundesstaaten der U.S.A., der flächenmäßig größer als die Bundesrepublik ist. Dies ist nur ein Beispiel, für dieses Land, in dem alles eine Nummer größer zu sein scheint: die Landschaften sind gewaltiger, die Straßen sind breiter, die Autos sind bulliger, die Spanne zwischen arm und reich ist extremer und die Verrückten sind zahlenmäßig bedenklich viele und im Schnitt verrückter. Und es ist das erste Land, in dem man Kniestrümpfe noch (oder wieder?) wie in den 70ern trägt, zu kurzen Hosen, glatt und straff, so weit es geht nach oben gezogen. 😉

So wie die meisten Städte, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mit dem Charme, der Historie und dem Café-Flair ihrer europäischen Pendants nicht mithalten können und so kritikwürdig dieses Land derzeit mit seinen oft blauäugigen und von überzogenem Patriotismus geprägten Einwohnern auf der politischen Bühne agiert, so unvergleichlich wild, vielseitig und sehenswert ist die hiesige Natur. Noch mindestens vier große Dinge verbleiben auf meinem Wunschzettel für spätere Abenteuer: die Rocky Mountains, der Yellowstone Nationalpark, Alaska und der Grand Canyon. Wir sehen uns also.

Morgen startet unser Flieger nach Costa Rica und am 13.05. wenden wir uns von Panama aus endgültig in Richtung Südamerika.