Nachdem die Iguaçu-Fälle am letzten Tag zwar öffneten, für ein Drittel des eigentlich zum Park gehörenden Gebiets aber den vollen Eintritt aufriefen, verzichteten wir. Hilft nichts, müssen wir später noch mal wiederkommen.
Die Abreise klappt auch nicht gerade wie geschmiert: Wer sich 5:30 Uhr mit der ganzen Familie aus dem Bett quält, findet 90 Minuten Verspätung wegen „am Flugzeug durchzuführenden Routinetests“ weder witzig, noch besonders Vertrauen erweckend, zumal damit der Anschlussflug in Sao Paulo nicht mehr zu schaffen ist und aus einer Umsteigezeit von 70 Minuten epische 10 Stunden werden. Wir nutzen die Zeit und holen unsere Tickets für unser WM-Highlight England vs. Italien ab, drücken uns dann stundenlang zwischen den Terminals herum und gönnen uns sündhaft teuren Kaffee und Fast Food, beides in eher trauriger Qualität.
In unseren letzten beiden Stunden sollte eigentlich das Eröffnungsspiel der Fußball-WM unsere Zeit verkürzen und ich bin mir sicher, dass es auf vielen der am Flughafen reichlich zu findenden, riesigen Bildschirme zu sehen sein wird, wir sind schließlich sogar in der richtigen Stadt. Der Anstoß naht und wir haben Mühe die kleine FIFA-Ecke mit der Übertragung zu finden. Dort hat man ca. 6 Bildschirme in Augenhöhe an eine Wand gehängt, was dazu führt, dass bereits in fünfter Reihe nichts mehr zu sehen ist. Der Andrang ist viel zu groß. Vorbei am riesigen Videowūrfel der in Terminal 1 von der Decke hängt und in Endlosschleife einen weichgezeichneten Samsung-Werbespot zeigt, verlassen wir entnervt das Gebäude um etwas frische Luft zu schnappen. In der Ferne ist Feuerwerk zu vernehmen.
Ich lege alle Hoffnung in den Abflugbereich, wir passieren die Sicherheitskontrolle und finden in einem Zeitungskiosk immerhin einen hoch hängenden, 80 cm Fernseher um den sich geschätzt 250 Leute versammelt haben. Ich versuche mir den Gedanken zu verkneifen, dass das in Deutschland sicher besser geklappt hätte.
Wir landen mit 30 Minuten Verspätung gegen 0:10 Uhr in Manaus und werden abgeholt. Toll, das heute doch noch etwas klappt!
Nach langer Recherche vor einem halben Jahr war das Zimmer, dass Marilia im Haus Ihrer Eltern für 55 Euro pro Nacht inkl. Frühstück vermietet, die einzige bezahlbare Unterkunft der Stadt. Wir landen also in einer für Brasilien vermutlich durchschnittlichen Wohngegend in einem ganz normalen Haushalt. Marilias Eltern nehmen uns freundlich auf, auch wenn die Kommunikation mangels Portugiesisch-Kenntnissen schwierig ist. Obwohl angeblich mit dem Spanischen eng verbandelt, enden Kommunikationsversuche häufig in einem verständnislosen Kopfschütteln. Die Sprache klingt ein wenig wie abgehacktes Spanisch, in das willkürlich Zischlaute, sowie „ais“ und „ao“ eingefügt wurden und das man mit riesigen Zahnlücken und einem Tischtennisball im Mund spricht. Insgesamt landet es phonetisch in unserer Sprachen-Beliebtheitsskala eher auf den hinteren Plätzen.
Wir sind relativ faul und beschränken uns vorerst auf die nähere Umgebung. Die Straßen der einfachen Nachbarschaft sind aufwendig geschmückt, die kleinen Läden voller WM-Souvenirs und alle tragen stolz die Nationalfarben ihrer Seleçao. Zumindest hier ist von Demonstrationen, Boykott oder gar Gewalt nichts zu sehen, ja nicht einmal Polizeipräsenz scheint angesichts der wahrgenommenen friedlichen Stimmung um uns herum notwendig zu sein.
Der große Tag ist gekommen und wir machen uns auf den Weg zur „Arena da Amazonia“. Die Stimmung ist ausgelassen, wir tragen stolz lila-weiß und Felipe trötet fröhlich, ausdauernd und nervtötend vor sich hin. Der Stop am hochoffiziellen FIFA-Fanshop-Stand ist hingegen weniger begeisternd: weder wissen die armen Mädels hinter dem Tresen, was die Dinge kosten, noch funktionieren die Kassen oder ist Wechselgeld in ausreichender Menge vorhanden. Wir gehen zu unseren Plätzen, entscheiden uns dazu, England die Daumen zu drücken und schlagen uns damit auf die Seite der späteren Verlierer. Macht nichts, die La-Ola-Welle schwappt durch’s Rund, alles ist friedlich, die Stimmung begeistert, wir wundern uns aber etwas über die nicht wenigen frei gebliebenen Plätze. Für den Weg zurück nehmen wir den öffentlichen Bus und auch hier werden wir mit Hilfsbereitschaft überschüttet: schon bald scheinen die Hälfte der Passagier damit beschäftigt, unsere behütete Heimkehr sicherzustellen. Es werden Routen diskutiert und Bekannte angerufen um gemeinsam zum Schluss zu kommen, dass alles korrekt sei und wir faktisch direkt vor unserer Haustür landen. Wir verabschieden uns, schütteln Hände und wünschen viel Glück für den weiteren Turnierverlauf.
Es hat Spaß gemacht, hier zu sein, die Brasilianer sind freundlich, nur ausgeprägtes Organisationstalent scheint nicht zu ihren großen Qualitäten zu zählen. Das ist aber nicht wirklich schlimm.
Heute Abend steigen wir ins Flugzeug nach Puerto Rico, wo wir unsere lange Reise strandlastig ausklingen lassen. Fast möchte man es Urlaub nennen. Noch genau 14 Tage bis zur Landung in Deutschland. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen.